Victor Silberer - “Der König vom Semmering”
Victor Silberer (aka Viktor, * 25. Oktober 1846 in Wien, † 11. April 1924 in Wien) war eine schillernde Persönlichkeit des öffentlichen Lebens mit einem bemerkenswerten und inhaltsreichen Lebenslauf.
Silberer war österreichischer Journalist, Schriftsteller, Medientycoon, Sportler, Politiker, Unternehmer, Luftfahrtpionier und Aeronaut. Er verstand es in diesen Gebieten seine Visionen umzusetzen, erlangte zahlreiche Erfolge, Verdienste, Ansehen und konnte sich ein stattliches Vermögen erarbeiten.
Ende des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts war Silberer über 2 Dekaden einer der maßgeblichsten Protagonisten der dynamischen Entwicklung der Semmering-Region. Mit einem Teil seines Vermögens erwarb er einige 100.000 m² Grundstücke, in prominenter Lage zwischen Passhöhe und Südbahnhotel. Silberers Grand Hotel Erzherzog Johann mit 130 Zimmer war eine Zeit lang das größte Hotel am Semmering. Mit dem pittoresken Silbererschlössl in erhabener und bester Panorama-Aussichtslage schuf sich Silberer sowohl ein architektonisches, wie auch ein persönliches Denkmal.
Silberer war zwei Mal verheiratet und hatte aus erster Ehe einen Sohn, Herbert Silberer (1882-1923).
Der folgende Auszug der Grabrede des damaligen Wiener Bürgermeisters Karl Seitz drückt die posthume Würdigung und Anerkennung des Lebens und Wirkens des Menschen Victor Silberer treffend aus:
“Was Viktor Silberer geleistet hat, umfasst mehr als zwei Menschenleben zu leisten imstande sind. Groß waren seine Humanität und sein wohltätiges Wirken. Es gibt fast keinen Zweig der menschlichen Tätigkeit, den er nicht gefördert hätte. Die Liebe, die er als Mensch gefunden, hat er reichlich wiedergegeben und es ist kein Zweifel, dass nicht aus Zufall an seinem Grabe als Erster ein Barmherziger Bruder gesprochen hat, einer aus jener Gemeinschaft, der er einen besonderen Beweis seines Wohltätigkeitssinnes gegeben hat.”
Nachfolgend die wesentlichsten Säulen des Erfolges, des Wirkens und des Schaffens von Victor Silberer:
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Nach Absolvierung seiner kaufmännischen Ausbildung begann Silberer seine berufliche Laufbahn in einer Wechselstube und wechselte dann als Bankbeamter zur Anglo-österreichischen Bank.
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Im Rahmen seiner sportlichen Leidenschaft für den Rudersport schrieb Silberer bereits als Teenager regelmäßig Artikel und betrat damit für den Rudersport journalistisches Neuland. Ein Aufenthalt in den USA ab Herbst 1868 als Journalist in New York bildete für Silberer eine prägende Basis für seine weitere berufliche Entwicklung im Journalismus. In der Folge gründete Silberer zahlreiche Zeitschriften, war auch Herausgeber und teilweise (Chef)redakteur dieser, wie beispielsweise: 1871 “Der Kapitalist”, 1874-1880 die “Militär-Zeitung”, 1880-1918 die “Allgemeine Sport-Zeitung”, 1900-1909 das Monatsblatt “Semmeringer Zeitung” und 1902-1914 die “Wiener Luftschiffer-Zeitung”.
Silberer war Herausgeber einer Vielzahl von Werken, Büchern, Handbüchern und Zeitungen. Diese Publikationen erstreckten sich von militär-biographischen Werken, über eine Vielzahl an Handbüchern und Regelwerken zu verschiedenen Sportarten, bis hin zu maßgeblichen Veröffentlichungen zu Themen der Luftschifffahrt und der Aeronautik. Von 1919-1923 schrieb Silberer auch Beiträge für die Arbeiterzeitung.
Der Sportwissenschaftler Rudolf Müllner bezeichnet Victor Silberer als den mit Abstand wichtigsten Sport- und Sportmedienpionier Österreichs.
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Bereits in seiner Jugend zeigte Silberer ein starkes Interesse am Sport, insbesondere im Rudern, wo er große Erfolge erzielte. Neben dem Rudersport widmete sich Silberer zahlreichen weiteren Sportarten wie Schwimmen, Eislaufen, Turnen und Fechten und betrieb diese auf höchstem Niveau.
Nach der Beendigung seiner aktiven Karriere als Ruderer im Jahr 1878 wandte sich Silberer vor allem dem Pferdesport zu. Er besaß einen Rennstall mit erfolgreichen Rennpferden, darunter einen "Semmeringer", der mehrere Rennen gewann, und züchtete Deckhengste. Beispiele für Silberers Erfolge als Sportveranstalter sind: 1868 die erste Ruder-Regatta in Österreich (Wien), 1884 das erste Traber-Derby in der Wiener Krieau, 1887 das erste Wiener Wettschwimmen und 1908 die erste Bob-Meisterschaft in Österreich.
Einige der Funktionen von Silberer als führender Sportfunktionär: 1883-1885: Obmann des Wiener Trabrennvereins, 1899-1914: Präsident des Österreichischen Ruderverbandes, 1901-1908: Präsident des Wiener Regattavereins und als Höhepunkt seines Engagements für den Sport der erste Präsident des 1906 neu konstituierten "General Sports Committee for Austria", einem Vorläufer des heutigen Österreichischen Olympischen Comitées.
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Die Luftfahrt faszinierte Silberer sein Leben lang. Den prägenden Ursprung dafür dürfte die Auffahrt des Ballons des französischen Luftfahrers Eugène Godard vom Garten der Wiener Sofiensäle aus gewesen sein, die Silberer als Siebenjähriger bestaunte.
Während seines USA-Aufenthaltes 1868/69 erfüllte sich Silberers Bubentraum einer Ballonfahrt. Zu diesem Zeitpunkt manifestierte sich der Wunsch Silberers selber einen Ballon besitzen zu wollen, der sich 1882 mit seinem ersten eigenen Ballon “Vindobona” erfüllte. Dieser von der französischen Firma “Brissonnet” in bester Qualität gebaute und am 10. August 1882 von Brissonnet junior selbst nach Wien gelieferte Ballon hatte einen Rauminhalt von 1.100 m³. Im Wiener Prater besaß Silberer gar eine Ballonhalle mit eigenem Gasanschluss. Silberer selbst absolvierte weit mehr als 100 Ballonfahrten.
Victor Silberer hinterließ ein beträchtliches Erbe als Luftfahrtpionier in Österreich, indem er sowohl technologische Fortschritte vorantrieb als auch Bildung, Forschung und Organisation in der aufstrebenden Luftfahrtindustrie förderte. Im Bereich der Luftschifffahrt und Aeronautik des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts in Österreich war Silberer eine bedeutende und prägende Persönlichkeit. Internationale Anerkennung für seine Verdienste und Errungenschaften in der Luftschifffahrt erzielte Silberer auch durch Ehrenmitgliedschaften in internationalen Vereinigung, wie in Frankreich und Portugal.
1885 gründete Viktor Silberer die “Wiener Aeronautische Anstalt”, wo er seine eigenen Ballons produzierte. 1886 führte er erstmals in Österreich Luftaufnahmen aus einem Ballon heraus durch. 1888 war Silberer der Initiator der Internationalen Ausstellung für Luftschifffahrt in Wien. Ab 1890 leitete er die ersten militär-aeronautischen Kurse, in denen unter anderem die ersten Ballonfahrer für die K. & k. Armee ausgebildet wurden, darunter auch Franz Hinterstoisser.
Gemeinsam mit Hinterstoisser gründete Silberer 1901 den “Wiener Aero Club”, der 1910 in den noch heute bestehenden und drittältesten Flugsportverband der Welt, den “Österreichischen Aero Club”, umbenannt wurde und dessen Präsident Silberer bis 1911 war.
Hinterstoisser und Silberer waren auch die treibenden Kräfte für den Beschluss des Wiener Neustädter Stadtrates zur Schaffung des ersten und größten Flugplatzes der Donaumonarchie, der 1909 am Steinfeld im Nordwesten von Wiener Neustadt eröffnet wurde, dem heutigen Flugplatz Wiener Neustadt West. Damals stellte dies einen Meilenstein in der Infrastruktur für die Flugindustrie des Landes dar. Heute ist der Flugplatz Wiener Neustadt West der größte Grasplatz Europas.
1909 gründete Silberer die “Österreichische Aeronautische Kommission”, die als Dachorganisation zur Koordinierung aller Luftfahrtangelegenheiten und zur Förderung der Entwicklung in diesem Bereich diente.
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Silberer war ein kritischer und wandelbarer Politiker. Ab 1884 war er Mitgründer und stellvertretender Obmann des liberal orientierten Demokratischen Wiener Wählerverbandes, von 1887 bis 1895 dessen Obmann und in dieser Funktion von 1891–1895 im Wiener Gemeinderat tätig.
Als Bewunderer Karl Luegers wandte sich Silberer dann der Christlichsozialen Partei zu und war für diese ab 1902 Abgeordneter im niederösterreichischen Landtag.
1904-1913 war Silberer wieder im Wiener Gemeinderat und zusätzlich von 1907 bis 1911 Abgeordneter des Reichrats. 1919-1923 betätigte sich Silberer wieder mit journalistischen Beiträgen für die Arbeiter-Zeitung.
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Silberer war ein erfolgreicher Netzwerker, der geschickt seine vielfältigen Talente, seinen maßgeblichen Einfluss, seinen mutigen Pioniergeist, den Sinn für Geschäftsideen und die Diversität seiner unternehmerischen Aktivitäten kombinierte und vermarktete. Durch seinen Mut, seine Weitsicht, seine Leidenschaften und sein Geschick konnte er ein beträchtliches Vermögen aufbauen. Berichten zufolge war Silberer auch in Börsenspekulationen und als Buchmacher erfolgreich.
Ein bedeutender Teil des Vermögens Silberers stammte aus seiner Zeitschrift "Allgemeine Sport-Zeitung", die nicht nur in der Donaumonarchie, sondern auch in Ländern wie Frankreich, Belgien und England Verbreitung fand.
Im Laufe seines Lebens konnte Silberer vorrangig in Wien und am Semmering ein Immobilienportfolio aufbauen.
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Bereits früh erkannte Silberer die wirtschaftliche Bedeutung des Freizeitsektors und erwarb Beteiligungen an mehreren Wiener Theatern, errichtete Veranstaltungszentren und Hotels in Wien. Als visionärer Unternehmer und Initiator des 1882 gegründeten “Vereins zur Hebung des Fremdenverkehrs in Wien” sah Silberer Ende des 19. Jahrhunderts auch das große Potenzial des Semmering als sommerfrisches Ferienziel der „feinen Gesellschaft“ Wiens.
Silberer erwarb weitläufige und prominent gelegene Grundstücke am Semmering und spielte in der Folge für die touristische Entwicklung und für die weitere Erschließung des Semmering-Gebietes, die dann über die klassische Sommerfrische hinausging, eine maßgebliche Rolle. Silberer war Präsident und Mitbegründer des „Vereins zur Hebung des Fremdenverkehrs im Semmering-, Rax-, Schneeberg- und Wechselgebiet" und Herausgeber der “Semmeringer Zeitung” (1900-1909).
Mit dem 1894 erbauten Silbererschlössl setzte sich Victor Silberer ganz bewusst ein prominentes und weithin sichtbares Denkmal, in der besten Panorama-Aussichtslage, die der Semmering zu bieten hat. Sein Silbererschlössl diente Silberer nicht nur als Wohn- und Wirkungsstätte sondern auch als einen prestigeträchtigen und repräsentativen Treffpunkt für seine prominenten Gäste aus Aristokratie, Politik, Sport und Wirtschaft.
1897 erwarb Silberer den damaligen Gasthof Erzherzog Johann und eröffnete ihn 1899 als das “Grand Hotel Erzherzog Johann” mit 130 Zimmer. Nachdem Silberer das Hotel 1906 an Franz Panhans verpachtet hatte, veräußerte Silberer das Grand Hotel Erzherzog Johann 1909 schließlich an ihn.
Als Sportsmann und als sehr erfolgreicher Journalist und Medientycoon verstand es Silberer hervorragend, nationale und internationale Sportwettkämpfe im Semmering-Gebiet zu veranstalten und prominent zu vermarkten. Dies reichte von Internationalen Schiwettläufen in Mürzzuschlag, über die Errichtung einer Bobbahn und Bobsport-Wettkämpfen bis hin zu den über Jahrzehnte (mit Unterbrechungen bis 1933) spektakulären Semmering-Bergrennen, das 1899 als erstes offizielles Automobilrennen Österreichs in die Geschichte einging.
Ab zirka 1910 zog sich Silberer immer mehr von der politischen Bühne zurück, seine Interessen verlagerten sich vom Semmering-Gebiet wieder vermehrt nach Wien. 1914 übertrug er den Erlös des Verkaufs seines mehrere 100.000 m² großen Grundstücksbesitzes am Semmering gemeinnützigen Organisationen.
Obwohl Silberer nur mehr selten am Semmering präsent war, spielte seine Brandrede zur Loslösung des Ortes Semmering von der Gemeinde Breitenstein, im Rahmen einer provisorischen Landesversammlung im Jahr 1919, eine entscheidende Rolle. Dies führte zur endgültigen Zustimmung am 23. Juli 1919 und zur Beschlussfassung der Loslösung.
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Silberers Sohn Herbert trat trotz Bemühungen seines Vaters und auch durchaus erfolgsgekrönten Ambitionen nicht nachhaltig in die sportlichen, journalistischen und unternehmerischen Fußstapfen seines Vaters ein.
1907 schloss sich Herbert Silberer einer Gruppe um Sigmund Freud an und er fühlte sich mehr zur Psychologie des Unterbewusstseins, zur Traumsymbolik und zur Mystik hingezogen.
Herbert Silberer war zwei Mal verheiratet, finanziell war er von seinem Vater abhängig. Am 12. Jänner 1923 erhängte sich Herbert Silberer in seiner Wohnung in der Wiener Annagasse.
Aufgrund einer Lähmung in beiden Beinen war Victor Silberer in seinen letzten Lebensjahren schwer beeinträchtigt und führte ein einfaches Leben in seiner Wohnung im Wiener Annahof.
Am 11. April 1924 starb Victor Silberer an einer Lungen-Rippenfellentzündung in Wien.
Die Stadt Wien widmete ihm am Wiener Zentralfriedhof ein Ehrengrab, sein Begräbnis war ein großes gesellschaftliches und öffentliches Ereignis.
Das nachfolgend angeführte, von Eduard Aberham recherchierte und geschriebene, im Kral Verlag aufgelegte Buch: “Viktor Silberer - König des Semmering” gibt eine gute Zusammenfassung des Lebens, Wirkens und Schaffen von Victor Silberer:
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Wer war eigentlich dieser Viktor Silberer, dass man ihn gemeinhin als „König des Semmering“ bezeichnen darf? Gibt es da nicht andere, prominentere Namen, denen man das eher zuerkennen möchte?
Jeder König aber hatte seine Zeit. Viktor Silberer (1846–1924) erkannte früh die Möglichkeiten dieser Region, investierte noch vor der Wende zum 20. Jahrhundert in umfassende Ländereien und errichtete 1899 das bis dahin größte Hotel am Semmering.
Schon zuvor hatte er sich mit dem „Silberer Schlössl“ hoch über den anderen Hotels seine monumentale Residenz als Zeichen seines Selbstbewusstseins und seiner Dominanz erbaut. Es folgte eine „Semmering Zeitung“, die Gründung eines Fremdenverkehrsvereines, mit der Bahn legte er Ankunftszeiten und Tarife fest und betrachtete die Gemeindevertreter als seine Domestiken.
Jedenfalls bis 1909, dann verlor er das Interesse am Semmering und verschenkte oder veräußerte in den darauffolgenden Jahren seine Besitzungen. Zuletzt, 1920, auch seine Residenz, das „Schlössl“.
Silberer gilt als jene Person, die den Semmering zu dem gemacht hat, wofür der Kurort bekannt ist.
Die Recherchen des Autors Eduard Aberham, selbst 27 Jahre lang Chef und guter Geist des legendären Grand Hotel Panhans, lassen in Silberer nicht nur einen exzentrischen Millionär, einen preisgekrönten Sportler, einen Medientycoon, Luftschiffer und politisches Schwergewicht, sondern auch einen Philanthropen, Gönner und Förderer zahlreicher sozialer Einrichtungen erkennen.
Eine außergewöhnliche und faszinierende Biographie, eingebettet in die verzaubernde Semmeringgegend während des Fin de siècle, gewohnt fundiert und unterhaltsam geschrieben und mit einer Vielzahl an seltenen Bildern ausgestattet.
Ein kulturhistorisches Gustostückerl – nicht nur für Semmeringliebhaber!